Leseprobe:

Es hatte in der Nacht geschneit und alles mit einer dicken Schneedecke zugedeckt. Gerti sah in die Winterlandschaft hinaus. Die Spur, die Hermann auf den beiden Grundstücken hinterlassen hatte, tat der Idylle keinen Abbruch, im Gegenteil, sie unterstrich nur noch die winterliche Stimmung und rief Geschichten vom einsamen Wolf hervor. Gerti liebte ihr kleines Backsteinhäuschen und das zu jeder Jahreszeit.

Sie öffnete die Terrassentür: „Ach Hermann, du kommst gerade recht.“ „Was ist den Schnuckelchen.“ Hermann stampfte sich den Schnee von den Schuhen und trat ein. Gerti konnte es nicht leiden, dass Hermann sie immer Schnuckelchen nannte, aber er ließ sich nicht davon abbringen. Anni, seine Frau hatte ihre eigene Theorie dazu. Nur weil er sich keine Namen merken konnte oder wollte nannte er alle Frauen Schnuckelchen.
„Hier lies das mal.“ Gerti hielt ihm den Zeitungsartikel unter die Nase. Hermann überflog ihn und sah dann Gerti an:
„Ist das eine Bekannte von dir?“
„Ja, eine frühere Kollegin und auch Freundin.“
„Warte ich hole Anni rüber. Das interessiert sie bestimmt auch.“ Hermann ging zur Terrassentür und schrie über das ganze Grundstück: „Anniiiiii.“
Anni glaubte es wäre was Schreckliches passiert und kam in Pantoffeln durch den Schnee gerannt. Fiel einmal hin, was nicht viel ausmachte, da sie ja weich fiel.
„Nun erzähl mal“, sagte Hermann zu Gerti, „wer ist diese Agrippina“
„Also, ich habe doch mal bei einer Versicherung gearbeitet. Da habe ich Aggi kennen gelernt. Ich war schon ein paar Jahre dort beschäftigt, als Aggi eingestellt wurde und zwar als zweite Sekretärin des Personalchefs. Du glaubst gar nicht wie hübsch Aggi ist. Lange dunkle Haare und blaue Augen. Jeder von den Angestellten wusste warum der Personalchef Aggi in sein Büro geholt hatte. Er hatte ein Verhältnis mit seiner ersten Sekretärin und brauchte jetzt was Jüngeres. Im ganzen Haus kochte die Gerüchteküche. Aggi war damals zwanzig Jahre alt und dieser alte Bürohengst glaubte tatsächlich ein Anrecht auf Aggi zu haben.

Sie brachte die Abrechnungen der Personalabteilung immer in die Buchhaltung und da habe ich sie kennen- gelernt. Trotz unseres Altersunterschiedes haben wir uns sehr gut verstanden. Mit der Zeit erzählte sie mir auch, was sich in der Personalabteilung alles so abspielte. Der Personalchef rief sie des Öfteren in sein Büro und nannte sie Herzchen gab ihr Cognac zu trinken und schäkerte halt mit ihr. Ihr kam gar nicht in den Sinn, dass so ein über dreißig Jahre älterer Mann von ihr was Bestimmtes wollte. Die Kollegen und Kolleginnen behandelten sie als Protegé des Chefs scheißfreundlich.
Und dann kam der Betriebsausflug. Die Versicherung hatte so an die fünfhundert Angestellte und weil gerade eine Firma ein Netzwerk für die Computer einrichtete, wurden diese Leute auch zum Betriebsausflug eingeladen.
Als abends der Tanz losging, wagte sich kein Mann an den Tisch der Personalabteilung um Aggi oder auch die anderen Frauen zum Tanz aufzufordern, das war dem Chef vorbehalten. Nur ein junger Mann von der Computerfirma hielt sich nicht an das ungeschriebene Gesetz und forderte Aggi zum Tanz auf. Die beiden verstanden sich so gut, dass sie sich an die Bar absetzten.
Der erste Arbeitstag nach diesem Betriebsausflug war die Hölle für Aggi. Der Chef schnauzte sie gleich vor versammelter Mannschaft an. Er versetzte sie innerhalb der Abteilung, sie war nicht mehr seine zweite Sekretärin.
„Sag mal Hermann“, Gerti wandte sich jetzt direkt an Hermann: „kann man das nicht schon als sexuelle Belästigung interpretieren. Ich meine, er hat sie nie angefasst, aber sie war ja Repressalien ausgesetzt, weil sie sich nicht wohlgefällig verhalten hat. Weißt du, dieser alte Bock bildete sich ein, in seiner Position ein Anrecht auf Frauen zu haben, die ihn auch noch lieben sollten, um sich dann, wenn dies nicht passiert, beleidigt abzuwenden.

Dem Adel vepflichtet – Kriminalroman von Charlotte Mautz
83 Seiten
Format DIN A 5, Hardcover
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